Felix – Ich, wie es wirklich war

Inventur des Lebens (4): die Zeitung

Posted in Der tägliche Wahnsinn, Kultur, Literatur, Medien, Politik by Felix on Oktober 2, 2008

Wie man sieht, habe ich schon sehr, sehr lange keinen Artikel mehr veröffentlicht. Daraus zu schließen, ich hätte in dieser Zeit nichts geschrieben, wäre fatal, aber leider ist es genau so. Bei einem Künstler würde man in so einem Fall wohl von kreativer Pause oder Schaffenskrise sprechen. Bei mir verhält es sich so, dass ich unheimlich faul bin und ich mir offensichtlich nur Zwänge auferlege, um etwas zu haben, mit dessen Fernbleiben ich mir das Faulsein versüße. Denn das Süße ist ja erst süß durch das Saure. So macht faul zu sein auch nur Spaß, wenn es etwas gibt, vor dem man sich drücken kann. Ein Heer depressiver Arbeitsloser wird mir da zustimmen.

Heute aber reiß ich mich auf einen Download wartend zusammen und führe meine so groß angekündigte Inventur des Lebens fort. Wenigstens um einen Artikel: die Zeitung. Vorher möchte ich mich noch bei allen bedanken, die überhaupt bemerkt haben, dass es hier schon seit längerem nichts neues mehr zu lesen gab. Eigentlich schreibe ich ja nur für mich, aber natürlich bin ich eitel genug, um mich über positives Feedback zu freuen. Ich persönlich finde auch die allerersten Artikel in diesem Blog noch ganz witzig, also wer die noch nicht gelesen hat, sollte sich nicht vor der Klickerei fürchten…

Die Zeitung also. Eines der vielen totgesagten Medien, das vom bösen Internet aufgefressen werden wird, bis nur noch eine blasse Erinnerung davon übrig ist. Die Menschen werden erst kein Geld mehr für journalistische Inhalte bezahlen, dann guten von schlechtem Journalismus nicht mehr unterscheiden können und schließlich vollkommen verdummen. Schon jetzt ist es ja so, dass ich mir meine täglichen Nachrichten von google zusammenstellen lasse und im Fernsehen am liebsten die Nachrichten im DSF kucke. Leisten kann ich mir das aber natürlich nur, weil ich sehr wohl eine Quelle der Aufklärung und des unabhängigen Journalismus habe, für die ich sogar brav bezahle: die ZEIT.

Zugegeben, es handelt sich hierbei nur um eine Wochenzeitung, aber gerade diese leichte Distanz zum allernächsten Zeitgeschehen ist die Stärke dieser Zeitung. Fast jeder Artikel ist hochgradig fundiert und reflektiert, nur selten wird übers Ziel hinausgeschossen oder absichtlich jemand verhöhnt. Wissen, Vernunft und journalistischer Ethos prägen diese Zeitung.

Nichtsdestotrotz lese ich fast immer zuerst das Magazin Leben, wenn ich die ZEIT donnerstags aus dem Briefkasten hole. Nichtsdestotrotz vermisse ich einen Sportteil und ein Feuilleton, für das Kultur auch außerhalb von Theatern, Verlagen und Opern stattfindet. Nichtsdestotrotz fallen einem Alleswisser und Leitartikler wie Josef Joffe oder Jens Jessen manchmal auf die Nerven. Aber genau so beeindruckend sind die beiden JJs eben auch. Wer sonst kann zu fast jedem beliebigen Thema innerhalb kürzester Zeit einen Artikel schreiben, der eine ganze Diskussion wiedergibt, ihr neue Aspekte verleiht und Hintergründe beleuchtet? (Okay, ich vielleicht, aber so eitel bin ich nun auch wieder nicht…)

Der deutsche Fußball

Nationen, wie wir sie kennen und als natürlich empfinden, gibt es noch gar nicht so lange, wie man meinen könnte. Gerade Deutschland gibt es in den ungefähren heutigen Zügen erst seit 1871. Dennoch gibt es zu vielen Nationen -besonders denen des alten Europa- Symbole, die diese Nationen verkörpern oder sie charakterisieren sollen. So ist das Nationalsymbol der Engländer, der stolzen Engländer, das Meer, das sie umgibt. Das Meer ist das einzige „Terrain“, das die Engländer erobern können, ein unendlicher Raum und gleichzeitig ein unerbittlicher Gegner (zumindest zur Zeit, als diese Symbole entstanden). Doch das Meer ist auch die sicherste Grenze, die man sich wünschen kann, Angst vor Fremden muss man als Engländer folglich nicht zwingend haben, viel eher wird man sich über jeden Neuankömmling neugierig freuen.

Laut Elias Canetti ist das Nationalsymbol der Deutschen der Wald. Deutschland, das ganz im Gegensatz zu England nicht die splendid isolation genießt, sondern haufenweise Nachbarn hat, fühlt sich stets leicht vom Fremden bedroht und reagiert statt mit Neugier eher mit Ablehnung. Zuflucht vor dem ständigen Stress der Konfrontation mit dem Nicht-deutschen sucht die deutsche Seele nun Canetti zufolge im Wald. Der Wald ist beschaulich und menschenleer. Und vor allem: der Wald besitzt die vertikale Ordnung, die der Deutsche angeblich so liebt. Wie tapfere Soldaten ragen die Bäume gen Himmel, „der marschierende Wald“. Die Armee, der Wald als Tranquilizer.

Folgt man bei der Beobachtung der Armee Michel Foucault, ist sie eine Institution, die ihre Schlagkraft nicht aus der Förderung einzelner Talente bezieht, sondern aus der Schaffung einer absoluten Disziplin; jeder führt dieselbe Bewegung auf dieselbe Art und Weise aus. So entsteht ein aus einzelnen Gliedern bestehender Körper, der allein durch die Anwendung von Taktik in Bewegung gesetzt wird. Ein Rädchen greift ins andere.

Die Parallele zur deutschen Nationalmannschaft (dem Heer der Moderne) ist so erstaunlich wie offensichtlich. Während Mannschaften, die berühmt sind für ihren schönen Fußball, eher so wirken wie eine Trupe hochtalentierter Ritter, die zusammenspielen oder eben nicht, ist die deutsche Nationalmannschaft ein Heer, das nur funktioniert, wenn alle Teile mit höchster Disziplin (meinetwegen auch höckschter Dischziplin) derselben Taktik folgen. Wo andere auf den kreativen Einfall, die Genialität eines einzelnen setzen, gewinnen die Deutschen durch einstudierte Spielzüge. Bei den Spaniern kann man sagen, dass sie Europameister wegen der überragenden Fähigkeiten eines Xavi, Villa, Silva, Iniesta, Fabregas, Torres, Casillas, Ramos usw. geworden sind. Bei den Deutschen lässt sich nur schwer behaupten, dass sie bessere Fußballer als die Holländer, Italiener, Franzosen, Portugiesen, Russen, Tschechen, Türken usw. hätten und sie deswegen vor diesen allen Vizeeuropameister geworden seien. Es scheint viel mehr die vollkommene Homogenität des Mittelmaßes zu sein, die sie so erfolgreich macht. Selbst Spieler, die zur Weltklasseleistung taugen, wie Ballack oder Gomez, gliedern sich in das Heer ein und ordnen sich der Gleichmäßigkeit der Disziplin unter. So entsteht eine Armee aus 23 Spielern, in der ein Rädchen das andere ersetzen kann, aber vor allem auch eins ins andere greift. Ein Klischee wird Vizemeister. Olé olé!

(Liebe 11Freunde-Redaktion, besser als ein Fußballessay vom Ströbele is das ja wohl. Gebt mir ein Premiereabo!)

Die Arbeit der Nacht

Posted in Film, Kultur, Literatur, Medien by Felix on Mai 14, 2008

Ich mag eigentlich nichts schlechtes über Thomas Glavinic sagen, aber von „Die Arbeit der Nacht“ hatte ich mir mehr erwartet. Sicherlich ist die Geschichte nett angelegt und auch nicht schlecht erzählt, aber mir fehlt da die Pointe oder der Clou oder halt etwas, auf das die ganze Sache hinausläuft. Schließlich fängt er ja so groß an!

Die Arbeit der Nacht

Jonas, der Held der Geschichte, wacht in seiner Wiener Wohnung auf und stellt mit wenig Entsetzen fest, dass sowohl Radio, als auch Fernseher als auch Telephon, nicht mehr das tun, was sie sollten. Das liegt allerdings an keiner technischen Störung, sondern schlicht und einfach daran, dass Jonas der einzige Menschen auf Erden ist. Keine Eltern mehr, keine Kollegen, keinen Bäcker und am schlimmsten: keine Marie.

So strampelt sich Jonas durch die leere Stadt, beschäftigt sich mit sinnlosen Umzügen und filmt sich selbst dem Ende entgegen. Mysteriös wird es nur, als Jonas entedeckt, dass er vom Schläfer, seinem eigenen schlafenden Ich, Nacht für Nacht vorgeführt wird. Aber auch das bleibt ein Erzählstrang, der ins Nichts führt.

Entweder habe ich „Die Arbeit der Nacht“ nicht verstanden oder es handelt sich dabei tatsächlich nur um eine Liebeserklärung in menschenleerer Umgebung.  Lieber Thomas, aus sowas macht man doch normalerweise mindestens etwas Existenzphilosophisches! So hat die Geschichte etwas von dem sehr schlechten Film „Deep Impact“ mit Elija Wood: die Welt geht unter, aber am Ende wird geheiratet und alles ist gut.

Selbst ist der Mann

Mittwoch war ich feiern, da kommt man schon mal auf komische Gesprächsthemen. Wir kamen auf Rex Guildo. Für die, die sich nicht erinnern: Rex Guildo war Schlagersänger. Er war die exotische, knusperbraune Erotikphantasie von Kneipenbesitzerinnen mit lila Dauerwellenfönfrisur der 90er. Er war die Schlager-Britney-Spears der 70er und dank Fiesta Mexicana kennt ihn praktisch jeder. 1999 nahm er sich durch einen Sprung aus seinem Badezimmerfenster das Leben.

Der Rex Fiesta Rexicana

Damit sind wir auch schon beim Thema: inwieweit mache ich durch falsche Zimmerwahl meinen Selbstmord zu einer noch erbärmlicheren Sache? Sollte man nicht, wenn man schon springen will, wenigstens von einer Dachterrasse springen? Ist das Badezimmer nicht eher Pulsaderzersägen, Ertränken und Föngrillen vorbehalten? Was wird aus einem  Erhängten, wenn er nicht mehr auf einem Dachboden oder in einem Keller baumelt? Und wie steht es mit Vergiften?  Entschläft man im Bett oder auf der Couch? Oder doch lieber auf einem Fliesenboden, falls man doch noch kotzt?

Fragen über Fragen, die sich jeder stellen sollte, bevor er seinen Abschiedsbrief schreibt (Und schreibt man überhaupt einen Abschiedsbrief? Wenn ja, wie lang? Und an wen? Sagt man da tschüss? Oder danke?).  Sollten das nicht die einzigen Probleme sein, die dich vom Selbstmord abhalten: Glückwunsch und weitermachen!

Zungenkuss

Posted in Kultur, Literatur, Medien, Musik by Felix on Januar 24, 2008

Kerstin Grether, die klügste Frau des deutschen Musikjournalismus, schreibt endlich auch für eine Zeitung, die ich lese: die ZEIT. Bisher hab ich ihren Namen zwar nur unter einem kurzen Artikel über Madonna gelesen, aber schon das hat mich beglückt.

Die Kerstin

Frau Grether schafft es, überaus belesen, schlau, kenntnisreich und witzig über Musik im Speziellen und Popkultur im Allgemeinen zu schreiben, was den einen nicht gelingt, weil Pop für sie keine Kunst, sondern Prollkultur ist, den anderen, weil sie keine Ahnung haben und schlecht schreiben. Auch im Intro kann man ab und an ihre Perlen bestaunen, zur Legende wurde sie als Redakteurin der Spex, als die noch nicht beweint und in Köln statt in Berlin war.  Zu empfehlen ist Kerstin Grethers Antologie „Zungenkuss – Du nennst es Kosmetik, ich nenn es Rock’n’Roll“, in der einem beispielsweise klar wird, dass Courtney Love eigentlich wirklich mal eine hoffnungsvolle Künstlerin war und dass Tocotronic toll sein könnten, wenn sie keine Musik machten.

Danke für Kerstin, Giovanni di Lorenzo.

Felix Austria

Posted in Den Menschen wie den Leuten, Der tägliche Wahnsinn, Kultur, Literatur, Medien by Felix on Januar 8, 2008

Ich lese zur Zeit „Die Arbeit der Nacht“ von Thomas Glavinic, hier mal ein kleiner Ausschnitt:

„Ein Freund mit kynologischem Interesse hatte Jonas einmal erklärt, warum manch kleiner Hund ungeachtet des Risikos auf einen viel mächtigeren Artgenossen losging. Dem lag Verzüchtung zugrunde. Die Rasse des Hundes war einst eine weit größere gewesen. Im Bewusstsein des Hundes hatte sich noch nicht festgesetzt, dass er von der Schulter bis zur Pfote nicht mehr neunzig Zentimeter maß. Der kleine Hund glaubte gewissermaßen, so groß zu sein wie der andere, und ging ohne Rücksicht auf Verluste gegen diesen vor.
Jonas hatte nicht erraten, ob diese Theorie auf wissenschaftlichen Erkenntnissen fußte oder ob sein Freund geflunkert hatte. Aber eine Erkenntnis war ihm gekommen: Mit den Österreichern verhielt es sich genau wie mit diesen Hunden.“

Helmut Krausser Poetikvorlesung II. Teil (Aufzeichnungen)

Posted in Den Menschen wie den Leuten, Der tägliche Wahnsinn, Kultur, Literatur, Lyrik by Felix on Dezember 28, 2007

Vorher: Heute erwarte ich mir natürlich etwas mehr als eine Aufzählung von Pathosarten, zumal ich kaum geschlafen habe. Ich will große Ideen oder einen Skandal, irgendetwas, von dem man sagen kann:“…und ich war dabei!“ (In dieser verdammten U-Bahn kann man kaum besser schreiben als während einer Busfahrt.)

Währenddessen: Ein Speichellecker als Vorredner. Auweia! Grausige Anbiederei. Es muss scheiße sein, die falschen Fans zu haben.

Mit einem Bein im Grab stehen, mit dem anderen auf einer Bananenschale.

Skandal ausgeschlossen, anything goes, niemand wird sich hier je angepisst fühlen, die hinterfotzigeren Feuilletonisten waren schon beim letzten Mal da und Krausser selbst haut auch nicht so auf den Putz.
So ein Autor wird ja kaum Groupies haben, eher so übereifrige Fans, mit denen er dann nach der Veranstaltung noch essen gehen muss. Anstrengend. Es ist doch immer wieder schön, ein kleines Licht zu sein.

Danach:  Was ich hier notiert habe, behalt ich besser für mich. Nur so viel: ich schließe, dass man sogar mit Kraussers Pathostheorie erklären kann, dass eine meiner Exfreundinnen ein Arschloch ist (weil sie Melodien ablehnt usw.).

Helmut Krausser Poetikvorlesung I. Teil (Aufzeichnungen)

Posted in Der tägliche Wahnsinn, Film, Kultur, Literatur by Felix on November 29, 2007

vorher in der U-Bahn: Helmut Krausser war mal Münchner. Von ihm wurde unter anderem „Der große Bagarozy“ verfilmt. Das heißt, er hat „Der große Bagarozy“ geschrieben, verfilmt hat es sicher Helmut Dietl. Oder der andere. Wenn man verfilmt werden will, schadet es sicher nicht, Münchner zu sein.
Als Ouvertüre erwarte ich mir eigentlich einen dramatischen Künstlermonolog im Zigarettendunst. Aber Krausser ist Familienvater und die Hausmeister sind streng.

währenddessen: Wie sich nun bei Betreten des Veranstaltungsortes herausstellt, gibt es ein weiteres Problem: es handelt sich um einen stinknormalen Hörsaal.
Aber er nöhlt, yeah!

Die Welt aus meiner Sicht ist klein und blau. Umgekehrt ergibt sich wohl ein ähnlicher Anblick.
Das Universum dehnt und streckt sich, weil es mir nicht gewachsen ist.

Danach: Bei einer Autorenvorlesung/-lesung: klatscht man oder klopft man? Das Publikum teilt sich.
Der Krausser gibt tatsächlich den großen Autor, wie man ihn sich vorstellt. Er wirkt etwas misanthropisch, lakonisch, leicht gequält, im besten Sinne arrogant und streng. Seine Plosive ploppen, er ist ein Schauspieler. Großartig: er sitz so, dass ihn kaum jemand sehen kann. Sein Verlagsfoto ist so angeschnitten, dass man nicht ahnt, dass er die Frisur von Friedrich März hat.

Apropos Thomas Glavinic

Posted in Der tägliche Wahnsinn, Kultur, Literatur by Felix on November 23, 2007

Auf einigen Bildern sehen sich Thomas Glavinic und Helmut Krausser erstaunlich ähnlich. Helmut Krausser ist ebenfalls Autor („Der große Bagarozy“, aber bei ihm ist angeblich jedes Buch ganz anders als die andern) und momentan Poetikprofessor an der LMU. Das heißt nicht, dass er jeden Mittwoch von zehn bis zwölf seine Vorlesung hält und sich mit Studenten rumärgert, sondern dass er an mehreren Abenden vorliest (sein Thema bisher: Pathos) und liest (Gedichte, Romanausschnitte). Interessant, wie dieser Verschnitt aus klassischer Bildung und Popkultur die älteren Herrschaften im Publikum irritiert; mit griechischen Zitaten können sie etwas anfangen, aber bei Pulp Fiction hört der Spaß auf.

Der Helmut

Die Frage, die sich mir nun stellt: wie kann ich die beiden unterscheiden? Ob es so ähnlich geht wie bei den Frauen von Vishnu, wo die eine, Shridevi, ein Band über ihre großen, straffen, nackten Brüste trägt, während die andere, Bhudevi, dies nicht tut?
Der Hinduismus ist unterschätzt.

Das bin doch ich!

Posted in Der tägliche Wahnsinn, Kultur, Literatur by Felix on November 22, 2007

Wenn einem Autor gar nichts mehr einfällt oder er zu viel Zeit hat, er dem Verlag irgendwas anbieten muss oder er sich für den geilsten hält, dann schreibt er über das, was ihm am nächsten liegt: über sich selbst. Christian Kracht hat das gemacht, Benjamin von Stuckrad-Barre, Maxim Biller ebenfalls, Johann Wolfgang von G-Punkt, Theo Fontane, Walter Benjamin, Albert Camus und nun auch mein neuer Lieblinsgösterreicher Thomas Glavinic (sprich je nach Anlass: „Glvtsch, Glanz, Gliwinetsch, Glawenitsch…).

Der Thomas

In seinem Buch „Das bin doch ich“ erzählt uns Thomas Glavinic, wie es ist, im Literaturbetrieb angekommen zu sein und doch nicht dazuzugehören. Wir begleiten ihn in der Zeit, in der sein Roman „Die Arbeit der Nacht“ einen Verleger sucht, findet und schließlich nicht auf der Longlist des deutschen Buchpreises landet. In derselben Zeit wird aus seinem Freund Daniel Kehlmann, Autor von „Die Vermessung der Welt“ (oder kennt ihn jemand als Autor von „Mahlers Zeit“?), der Megaseller, der er heute ist, und damit eine echte Egoprobe für jemanden, der ebenfalls gut schreibt, aber mit 7000 € im Dispo hängt. In derselben Zeit wird aus einem Thomas Glavinic mit Flugangst und Hypochondrie einer, der halbwegs ruhig fliegen kann und seine Hoden wieder ab und zu ankuckt. In derselben Zeit sind wir im Skiurlaub, auf Empfängen, bei Besäufnissen, bei Lesungen, bei Fototerminen und ständig beim Inder am Naschmarkt. In derselben Zeit wird uns von realexistierenden Personen und Ereignissen um Thomas G. erzählt und dennoch weiß man nie: Dichtung oder Wahrheit?

Torkelt Daniel Kehlmann tatsächlich auf Ecstasy durch New York? Steht wirklich eine Ärztin namens Ingrid Thallner auf einen österreichischen Autor, der jünger ist als sie, und verfolgt sie diesen mit E-Mails? Spricht Thomas‘ Schwiegervater in Echt auch wie Alexander Kluge?

Ein witziges Buch, so oft hab ich noch nie in Zug oder U-Bahn lachen müssen, und schnell gelesen ist es zudem. Was mich überdies mit Thomas Glavinic verbindet ist, dass wir uns von einer bestimmten Sorte Mensch verfolgt fühlen; bei ihm sind es die Beknackten und Verrückten, bei mir sind es die –